Reaktorblock 6 (KGR 6)
Durch einen Zufall besitzen wir in Lubmin eine wahre Rarität: ein vollständiger Reaktorblock ohne jegliche Kontamination oder Aktivierung durch radioaktives Material. Diese Seite soll einen kurzen Überblick geben, wie es dazu kam.
(Obwohl das Kernkraftwerksgelände auf den Gemeindeflächen Lubmins, bzw. Rubenows liegt, wird der Betrieb offziziell meist als KKW Greifswald bezeichnet.)

Geschichte des KKW Greifswald
Sowohl in der Bundesrepublik, als auch in der DDR begannen in den 1950ern die Bestrebungen die Kernenergie für zivile Zwecke zu nutzen und entsprechende Kraftwerke zu errichten. Im Kräftemessen des Kalten Krieges sollte natürlich auch in der Disziplin Kernkrafttechnik der Sozialismus die Nase vorn haben. In Verbindung mit den Uranvorkommen im Boden der DDR, welche gleichzeitig erschlossen wurden, winkte ein Versprechen von Unabhängigkeit.
Obwohl schließlich nur 2 Kraftwerke in Rheinsberg und in Greifswald in Betrieb genommen wurden, waren die Pläne ambitioniert. 20 KKWs waren insgesamt geplant. Greifswald sollte insgesamt 8 Reaktorblöcke erhalten, wodurch es zum größten Kernkraftwerk der Welt geworden wäre. In Stendal, wo ebenfalls bereits der Bau begonnen hatte, hätte mit 4000 MW das leistungsstärkste Kraftwerk ganz Deutschlands entstehen sollen.
Bis die Wende die Atom-Träume der DDR überholte, deckten die Blöcke KGR 1-KGR 4 10 % des Strombedrafs der DDR und spielten eine besondere Rolle während der Schneekatastrophe 78/79, in der es als einziges Kraftwerk in der DDR Strom in voller Leistung lieferte.
Von den 8 geplanten Reaktorblöcken waren 4 bereits im Leistungsbetrieb und die Blöcke Nummer 5 und 6 bereits fertiggestellt, sodass KGR 5 bereits für kurze Zeit in den Probebetrieb ging. Bevor auch KGR 6 mit radioaktiven Material bestückt wurde, war allerdings das Ende des KKW Greifswald beschlossen wurden.
Erwähnenswert ist in jedem Fall auch die Bedeutung des Kraftwerks für die Region. 14 000 Greifswalder Wohnungen wurden über Fernwärme vom Kraftwerk beheizt. 1986 waren im Kraftwerk und auf der Baustelle 11 000 Menschen direkt beschäftigt (bei 34 000 Berufstätigen im ganzen Kreis). Die Biografien der ehemaligen und aktuellen Mitarbeiter prägen heute entscheidend die Gesellschaft in der Region.
(Info u. a. aus Die Deutsch-Deutsche Geschichte des Kernkraftwerkes Greifswald von Per Högselius)

Warte Reaktorblock 3
Bildnachweis: Bernhard Ludewig
Technik
Durch die engen Beziehungen zu Sowjetunion wurde im Kraftwerk natürlich sowjetische Technologie verbaut. In den Blöcken 5 und 6 wurden Druckwasserreaktoren des Typ WWER 440/213 (als Weiterentwicklung zu den in KGR 1-4 verwendeten WWER 440/230) mit 440 MW elektrischer Leistung. Diese Reaktortypen waren außer in Rheinsberg (WWER 70) in keinem anderen deutschen KKW zu finden.
Die insgesamt 8 geplanten Reaktorblöcke waren durch ein 1,2 km langes Maschinenhaus miteinander verbunden und von einzelnen Blockwarten aus überwacht und gesteuert. Durch den Aufbau als Druckwasserreaktoren beschränkte sich die radioaktive Kontamination auf den Primärkreislauf zwischen Reaktor und Dampferzeuger. Weil im Greifswalder Bodden ausreichend Kühlwasser vorhanden war, mussten keine Kühltürme für das Kernkraftwerk errichtet werden.

Allgemeines Schema für Druckwasserreaktoren.
Bildnachweis: San Jose, Niabot (Wikimedia)
Ob die vorhandenen Anlagen und Sicherheitseinrichtungen in Greifswald den Ansprüchen des mit der Wende gültigen Atomgesetzes in der BRD genügt, war Gegenstand vieler Untersuchungen und einer breiten Diskussion, welche die Stillegung des gesamten Kernkraftwerkes zur Folge hatten.
Stillegung & Rückbau
Wie es zur der Entscheidung für die Stillegung kam ist eine Geschichte für sich. Fakt ist, dass im November 1989 während der Probebetrieb für Reaktorblock 5 (seit April) lief und für Block 6 vorbereitet wurde, beschlossen wurde, dass es keine Zukunft für eine Stromproduktion am KKW Greifswald geben würde. Gutachten hatten zwar die Option eröffnet, zumindest die Blöcke 5-8 durch Nachrüstung auf das notwendige Sicherheitsniveau zu bringen, die Kosten hierfür waren aber zu hoch.
1995 begann die Stilllegung des KKW Greifswald durch den aktuellen Betreiber EWN (externer Link) (damals „Energiewerke Nord“, heute „Entsorgungswerk für Nuklearanlagen). Seitdem werden Stück für Stück die kontaminierte Teile aus den Blöcken demontiert und sicher eingelagert. Teilweise müssen auch verstrahlte Teile der Gebäudes, wie Wände abgetragen werden. Dieser Vorgang ist äußerst aufwendig und bedarf einiem hohen Maß an Fachkenntnis. Die EWN baute auf das Know-How aus dem Kraftwerksbetrieb auf und ist heute eine Organisation mit einer Menge Erfahrung und Fachkenntnissen in der Stillegung von kerntechnischen Anlagen. Sind alle Gebäudeteile freigemessen kann eine Entlassung aus dem Atomgesetz erfolgen und der Abriss ganz regulär fortgesetzt werden. Unverstrahlte Gebäude, wie zum beispiel das Maschinenhaus wurden schon früh für eine Anschlussnutzung freigegeben. Hier wurden beispielsweise Windkraftwerke montiert.
Die Aufgabe der EWN ist die Vorbereitung der Nachnutzung der Anlagen. Wie eine solche Nachnutzung aussieht ist bislang nicht festgeschrieben und welche Perspektiven auf dem Gelände und spezifisch für den KGR 6 existieren, will unsere Initiative vor Ort diskuttieren.

Kondensationskammer Block 6
Bildnachweis: Bernhard Ludewig
Besonderheiten
Der KGR 6 weißt einige Alleinstellungsmerkmale auf.
Der KGR 6 ist unverstrahlt und damit vollständig begehbar
Da die Entscheidung zur Stilllegung kurz vor der Inbetriebnahme getroffen wurde, ist der vollständig Aufgebaute Reaktorblock nie verstrahlt wurden und kann damit vollständig besichtigt werden. Eine Erhaltung ist nicht eingeschränkt durch eine notwendige Dekontamination.
Greifswald ist ein DDR-KKW
Neben dem kleinen Reaktor in Rheinsberg ist Greifswald das einzige (teilweise) fertiggestellte DDR-KKW und weißt dadurch sowietische Technik auf, die in keinem der KKW in den alten Bundesländern zu finden ist. Damit verbunden ist auch eine eigene Geschichte des Einstiegs in die Kernkraft und schließlich auch der Anti-AKW Bewegungen auf dem Boden der DDR.
Die Anlagen sind vollständig in öffentlicher Hand
Das VEB Kombinat Bruno Leuschner ging als Volkseigener Betrieb zuerst auf die Treuhandanstalt über und gehört seit dem Jahr 2000 dem Bundesministerium für Finanzen. Da es keine privaten Eigentümer gibt, muss bei der Entscheidung über die Zukunft der Anlagen nicht mit solchen verhandelt werden.
Der KGR 6 heute
Als Teil des KKW Greifswald steht für den KGR 6 früher oder später der Rückbau an. Im Jahr 2000 wurde eine Besucherroute durch den Reaktorblock eingerichtet, auf der man Führungen machen kann. Außerdem existiert bereits ein kleines Infozentrum über die Arbeit der EWN. Sobald die Arbeiten am Doppelblock 5/6 beginnen, wird die einzigartige Chance den KGR 6 zu besichtigen der Vergangenheit angehören. Aus diesem Grund setzen wir uns dafür ein, dass die Erhaltung des Reaktorblock 6 beschlossen und sichergestellt werden soll!