Bei mehreren Diskussionsständen zum Thema Erhaltung des KGR 6 haben wir in den umliegenden Gemeinden mit um die hundert Personen gesprochen. Meist Anwohnende, manchmal auch Touristen, die aber wiederrum häufig aus der Region stammten oder auch noch Familie in Vorpommern hatten.
Es kam am Stand zu vielen spannenden Diskussionen und uns wurden einige interessante Geschichten über das ehemalige Kernkraftwerk „Bruno Leuschner“ erzählt. Es wurden gezielt Fragen und Ideen zur Zukunftsperspektive des KGR 6 aufgenommen, welche ich in diesem Beitrag zusammenfassen und auswerten möchte. Zur besseren Übersicht habe ich die einzelnen Impulse zu passenden Themen gruppiert.
Ideen zu einer industriellen Nachnutzung
Ideen zu einer sportlichen Nachnutzung
Ideen zu einer kulturellen Nachnutzung
Ideen zu einer Nachnutzung mit Erlebnisangeboten
Ideen zu einer musealen Nachnutzung
Ideen zur Sicherung von Know-How
Tipps für die Durchführung
Hier geht es zu Teil 1 -Fragen zur Nachnutzung des KGR 6

Teil 2 von 2 – Ideen
Ideen zu einer industriellen Nachnutzung
Als erstes konnten nach begonnener Stilllegung des ehemaligen Kernkraftwerks die Bereiche zurückgebaut werden, die nicht kontaminiert (und nicht so verbaut wie der KGR 6) waren. Dazu zählte beispielsweise das alle Blöcke verbindende Maschinenhaus. Dieses wurde im Anschluss an verschiedene Unternehmen vermietet, die von einer derart langen Halle Gebrauch machen konnten (z. B. Kranmontage von Liebherr). Der KGR 6 ist allerdings ein sehr spezielles Gebäude, dass potenzielle industrielle Nachnutzungen vor große Herausforderungen stellen durfte (weitere Gedanken zum Thema industrielle Nachnutzung hier). Dennoch schlugen einzelne Stimmen auch eine Nutzung für neue Industrieprozesse vor. Sollte es zukünftig Konzepte geben, wie der Reaktorblock 6 industriell nachgenutzt werden kann, ist diese Möglichkeit natürlich grundsätzlich offen. Wir als Erhaltungsinitiative sehen aber natürlich den industriehistorischen Wert im Vordergrund, dem in diesem Fall trotzdem Raum gelassen werden müsste.
Ein weiteres Thema, welches einige Menschen an unserem Stand bewegt hat, ist die ursprünglich angedachte Nutzung als kerntechnisches Strom- und Wärmekraftwerk. Oftmals wurde Unverständnis darüber geäußert, das Kernkraftwerke im Allgemeinen und das KKW Lubmin im speziellen nicht mehr weiterbetrieben wurden. Wiederholt möchten wir festhalten, dass wir als Initiative weder ein Denkmal Pro noch Contra zivile Kernkraftnutzung schaffen wollen und eher den vermittelnden Charakter, den ein solcher Ort mit Ansatzpunkten für zukünftige Diskussionen haben könnte, im Mittelpunkt sehen. Selbst bei neutraler Bewertung scheint uns eine erneute Nutzung als Kernkraftwerk aber nicht durchführbar. Als gewichtige Argumente sind dabei die veraltete Projektierung (1960er Jahre), das Fehlen von Fachpersonal und der immense Aufwand der Aufrüstung einer so alten und in Teilen demontierten Anlage zu nennen. Wir planen dieser Frage in Zukunft noch einen ausführlicheren Beitrag zu widmen.
„Wir wollen als Initiative weder ein Denkmal Pro, noch Contra zivile Kernkraftnutzung schaffen.“
– Erhaltungsinitiative Reaktorblock 6
Ideen zu einer sportlichen Nachnutzung
Begibt man sich auf den Rundgang durch den KGR 6 landet man schnell in einem Raum, den man sicherlich nicht erwartet hätte: einen Tennisplatz. In einer von insgesamt 3 Luftfallen, ursprünglich für die Aufnahme großer Luftmengen und Druckentlastung im Havariefall gedacht, wurde ein Tennisplatz eingerichtet, denn diese riesigen quadratischen Räume, deren Wände mit Stahlplatten beschlagen sind bieten von einem viel: Platz.
Den Tennisplatz konnten sich viele Besucher*innen als Prototyp für eine Vielzahl von sportlichen Nutzungen vorstellen. Schon sehr alt ist der Gedanke an ein Wassersport- oder Tauchzentrum (externer Link). Einfach die Anlage fluten und schon hat man beeindruckende und vor allem tiefe Becken für die Tauchausbildung.
Die hohen Betonwände mit abwechslungsreicher Geometrie in einigen Stellen der Anlage böten sich wohl auch für Kletter- oder Boulderwände, die verwinkelten Räume für Parcour-Kurse an. Noch exotischer waren Vorschläge wie Bodyflying (Indoor Skydiving in einem vertikalen Windkanal) oder einer Skiarena auf dem Dach (nach Vorbild des CopenHill in Kopenhagen).
Die Umsetzbarkeit dieser Ideen reicht vom bereits umgesetzten Tennisplatz bis zu nahezu utopisch. Zumindest in der Fantasie sind die Möglichkeiten grenzenlos.

Ein Blick in die zum Tennisfeld umfunktionierte Luftfalle im KGR 6.
Ideen zu einer kulturellen Nachnutzung
Ebenfalls von bereits umgesetzten Nutzungen inspiriert waren Ideen zu Konzerten in einer ganz besonderen Atmosphäre. 2019 war die ehemalige Maschinenhalle Veranstaltungsort für die Festspiele MV mit klassischer und auch Jazzmusik (externer Link). Einige Besucher*innen unserer Stände haben sich mit viel Gefallen daran zurückerinnert und sich eine Wiederholung gewünscht.
Einige gingen noch weiter und dachten an ganze Festivals auf dem Kraftwerksgelände. Allgemein wurde häufig die Idee zu Events im Bereich Musik, aber auch anderer Kunst (z. B. Theatervorführungen) die vom speziellen Kontext und besonderen Räumen profitieren können genannt. Einzelne Veranstaltungen sollten in jedem Fall zukünftig im Reaktorblock geplant werden.
Auch dauerhafte Einrichtungen waren Thema am Diskussionsstand. Die großen Räume würden sich als Tanzsaal eignen und die industrielle Atmosphäre ließen an einen Techno-Club im Stile des legendären Tresor-Club (im ehemaligen Heizkraftwerk Berlin-Mitte) denken. Auch ein ganzes Kulturzentrum wurde sich vorgestellt. Die größten existierenden Veranstaltungsräume in der Umgebung sind übrigens: Das Seebadzentrum Lubmin (100 Plätze), Begegnungszentrum Wolgast (300 Plätze), der Kaisersaal in der Stadthalle Greifswald (600 Plätze), das Volkshaus Anklam (600 Plätze) und die Maschinenhalle im HTM Peenemünde, welche jährlich zum Usedomer Musikfestival 1200 Gäste zu Konzerten aufnimmt. Mit schätzungsweise 330 Quadratmetern sollten in einer Luftfalle im KGR 6 bis zu 400 Besucher möglich sein. In der angrenzenden Maschinenhalle ist die Gästezahl quasi unbegrenzt.
Je nachdem wie einzelne Events angenommen werden würden, könnte sich im KGR 6 auch ein Ort für Kunst und Kultur entwickeln.
Ideen zu einer Nachnutzung mit Erlebnisangeboten
Neben sportlichen und kulturellen Freizeit-Angeboten könnte die Atmosphäre des KGR 6 auch für andere Erlebnisse spannend sein. Ein Standbesucher aus der Nähe von Kalkar schwärmte von den vielseitigen Möglichkeiten des “Wunderland Kalkar” – einem Freizeitpark auf dem Gelände des nie in Betrieb genommenen Schnellen Brüters. Dort gibt es ein Hotel, Paintball, eine Achterbahn, ein Kettenkarussell im Kühlturm und einige weitere Attraktionen. Viele dieser Einrichtungen konnten sich auch andere Gäste für den KGR 6 vorstellen. Des weiteren wurde ein Escape-Room mit Kernkraft-Thema, sowie Abenteuer-Übernachtungen im stillgelegten Kernreaktor vorgeschlagen. Einzelne sprachen von einem Anziehungspunkt für “Grusel-Tourismus”, wobei wir finden, dass sich ein Besuch im ehemaligen Kernkraftwerk eher eignen, Vorurteile die einen “Gruselfaktor” mit sich bringen abzubauen.
Insgesamt waren sich die meisten einig, dass der KGR 6 eine formidable Schlechtwetter-Attraktion für sonnenverwöhnte Ostsee-Urlauber*innen sein könnte, unabhängig davon welche Nachnutzung die Besucher*innen konkret favorisierten.

Der zweite Diskussionsstand in Lubmin bei herrlichstem Wetter.
Ideen zu einer musealen Nachnutzung
Die mit Abstand häufigste Reaktion auf unsere Nachfrage, was denn mit dem KGR 6 passieren soll war, dass es (mindestens) ein Museum werden solle. Oft wurde betont, dass der gute Erhaltungszustand beibehalten und möglichst alles so bestehen bleiben solle, wie es ist. Das bestehende Führungsangebot solle auf jeden Fall beibehalten werden um den “historischen Charme” oder auch die “Schönheit in Industriekultur” weiter erleben zu können. So “viel Original wie möglich” wurde sich uns gegenüber auch gewünscht.
Wir können gar nicht genug betonen, wie oft der Wunsch nach einem Museum geäußert wurde. Dabei wollten zielten die Besucher*innen nicht nur auf die als lokale Besonderheit betrachtete Sowjet-Technik ab, sondern sahen im KGR 6 auch ein Ort der Lubminer Geschichte. Wir konnten uns Geschichten über Familien anhören, die ursprünglich in Freesendorf lebten. Der Ort in der Lubminer Heide musste der Kraftwerks-Baustelle weichen. Aber auch etliche Erfahrungen aus der Wendezeit, mit der das Ende des Kraftwerksbetriebes einherging, wurden mit uns geteilt. Dieser riesige gesellschaftliche Umbruch warf hier ganz direkt das Leben von tausenden ehemaligen Mitarbeitenden über den Haufen. Wir wurden dazu angehalten, zusätzliches Material zu sammeln, um es zukünftig im KGR 6 verfügbar zu machen: Filme über den Katastrophenwinter 78/79 und alte Dokus (z. B. über die Bauphase), Zeitzeugen-Berichte und Anekdoten, solange diese noch verfügbar sind. All dies soll dazu dienen, das Kraftwerk wieder mit Leben zu füllen.
Die Menschen an unserem Stand wünschten sich nicht nur den Erhalt des vorhandenen Inventars, sondern den Ausbau zu einem “Mitmach-Museum” bei dem man in Interaktion mit den dargestellten Objekten und Themen treten kann.
Als Beispiel für weitere Themen, die am Standort beleuchtet werden könnten, wurden unter anderem die Vor- und Nachteile verschiedener Energieträger genannt. Ein Vorschlag, der fabelhaft zur Energie-Region (Kohlekraftwerk, Gaspipelines, Ölförderung, Kernkraftwerk, Kernfusionsforschung, Anlandung-Offshore-Windenergie, Wasserstoffgroßprojekte, etc.) Vorpommern passt. Man sah dabei nicht nur touristische Zwecke, sondern ein mögliches Museum auch als externen Bildungsort für Schulunterricht.

Ideen zur Sicherung von Know-How
Das Thema Bildung beschäftigte vor allem auch unsere fachkundigen Besucher*innen. Neben dem gegenständlichen Wert, den der KGR 6 darstellt, gibt es heute vor Ort noch etwas anderes, dass ebenfalls großen Wert besitzt: Know-How. Die EWN bearbeitet das hochkomplizierte Thema des Kernkraftwerks-Rückbaus seit 30 Jahren und ist zu einer der Expertinnen in dem Gebiet geworden. In Zukunft müssen noch viele Kernkraftwerke zurückgebaut werden – nicht nur in Deutschland. Da wäre es praktisch ein Anschauungsobjekt zu haben, wo man unkompliziert und ungefährlich Schulungen durchführen kann. Das AKW Zwentendorf in Österreich hat genau für diesen Zweck ein Trainingscenter für Sicherheits und Rückbautrainings eingerichtet (externer Link).
Ob Strahlenschutz, Technik der Kernkrafwerke oder Rückbau – die Besucher*innen am Stand wünschten sich, dass das gewonnene Wissen vor dem Vergessen bewahrt wird.

Beginn des Diskussionsstandes auf dem Fischmarkt Freest.
Tipps für die Durchführung
Auf unseren Diskussionsständen gaben uns Mensch dutzende Fragen und Ideen für die Zukunft des Reaktorblock 6 auf dem weg. Zwar gingen die Vorstellungen von möglichen zukünftigen Angeboten am Standort weit auseinander. Mehrfach wurde aber auch bekräftigt, dass eine Kombination von Erlebnisangeboten und Museum auch gut parallel funktionieren können. Wir sehen in einem gemischten Betriebskonzept auch als vielversprechend an um die Tragfähigkeit zu verbessern.
Die Erhaltungsinitiative selbst hielten die Besucher*innen für eine großartige Initiative und bedauerten, dass der Inhalt des Blocks und sein Erhaltungsbedarf durch geringe Öffentlichkeit bislang nicht allen bewusst ist. Es wurde uns empfohlen diese Öffentlichkeit weiter zu suchen. Für die Zukunft der Initiative wurde uns mehrfach eine Vereinsgründung vorgeschlagen, mit der man die Kampagne und wenn nötig auch den Betrieb besser organisieren kann. Für diese Idee sind wir sehr offen und freuen uns über weitere motivierte Mitstreiter, die vom KGR 6 genauso fasziniert sind, wie wir.
Wir bedanken uns bei allen Menschen, die wir bislang im Rahmen unserer Stände sprechen konnten und freuen uns schon auf viele weitere Fragen und Ideen in kommenden Gesprächen oder auch durch direkten Kontakt über diese Website oder per E-Mail.
Tom Lichtenthäler / 24.10.2025
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